Eines der fesselndsten Bücher dieses Jahr ist für mich "Nebelblau" der Schwedin Tove Alsterdal,nach "Sturmrot" und "Erdschwarz" der dritte Band ihrer Trilogie. Unglaublich, wie viele richtig gute schwedische KrimiautorInnen es gibt!
Moderne Ermittlerin trifft auf Weltgeschichte
Die zentrale Figur ist die Ermittlerin Eira Sjödin. Sie ermittelt fernab der Hauptstadt im hohen Norden, im kleinen Ort Adalen am Fluss Angerman (am Torve Älv; dem Grenzfluss zu Finnland.) in der Nähe von Umea. Alsterdals Spezialität ist der Blick in die Geschichte dieser Gegend: geprägt von Armut und Industrialisierung; in die Gemeinschaft von Menschen, die einander in der Kleinstadt kennen - aber immer wieder voneinander überrascht werden. Verlässlichkeit trifft Geheimnis. Und Tove Alsterdal zeigt Mut und Haltung: kurz charakterisiert sie den Ukrainekrieg als Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine - erinnert dann aber an den Vietnamkrieg und die meist vergessene Tatsache, dass es auch damals Deserteure gab, gerade auch auf amerikanischer Seite. In den USA wurden sie zunächst verfolgt; viele fanden in Schweden lange Jahre Unterschlupf. Natürlich haben sie etwas mit dem Toten zu tun, den TaucherInnen zufällig auf dem Grund des Angermanflusses entdeckt haben. Und die Ermittlungen werfen ein unerwartetes Licht auf Eira Sjödins komplizierte Familiengeschichte. Selbst der sowjetische Geheimdienst hat im kleinen Adalen eigene Interessen verfolgt. Ich finde es faszinierend, wie Tove Alsterdal uns scheinbar mühelos daran erinnert, dass Weltgeschichte immer auch eine lokale und eine private Dimension hat.
Noch nicht selbstverständlich in der Kriminalliteratur ist es, dass eine Ermittlerin wie Eira Sjödin schwanger ist; erst recht nicht selbstverständlich ist es, dass sie nicht weiß, wer der Vater des Kindes ist. Übrigens gänzlich ohne moralisierenden Unterton, das finde ich sehr wohltuend.
Die Ermittlerin muss es hier also nicht mehr den männlichen Kommissaren gleich tun; sie darf sich vielmehr mit dem exklusiv weiblichen Thema Schwangerschaft und Geburt auseinandersetzen.
Die Spannweite dieses Krimis ist enorm, die Umsetzung beeindruckend: Der Autorin gelingt es, all diese Fäden, diese Figuren, diese Fälle ebenso schlüssig wie elegant zusammen zu führen. Und dabei stets einen Grundton von Zuversicht zu wahren. Großes Lob!
Autorin Tove Alsterdal
Tove Alsterdal lebt in Lulea in Schwedens Norden, sie hat sich zunächst als Journalistin, Dramatikerin und Autorin einen Namen gemacht. Für den ersten Band der Trllogie um Eira Sjödin "Sturmrot" wurde sie mit dem Schwedischen Krimipreis 2020 und dem Skandinavischen Krimipreis 2021 ausgezeichnet. Auch der zweite Band "Nachtschwarz" stand rasch auf den schwedischen und auch den deutschen Bestsellerlisten. Zu Recht, wie ich finde: hier treffen sich literarische Qualität, gesellschaftliche Relevanz und die Spannung, die ich von einem Krimi erwarte. Chapeau!
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